Der Nobelpreis für Chemie geht im Jahr 2011 an Prof. Daniel Shechtman aus Israel. Seine Entdeckung der sogenannten Quasikristalle, die sich in ihrer Symmetrie von den bisher bekannten Kristallen wesentlich unterscheiden, hat in den Augen des Nobel-Komitees „das Verständnis der Chemie von Feststoffen fundamental verändert“. Die Zusammenhänge zwischen Chemie und Mathematik wollen wir hier kurz erläutern.
Quasikristalle sind Kristalle, die nicht die bisher bekannten Symmetrien aufweisen. Lange ist man davon ausgegangen, dass sich alle Kristalle in regelmäßigen, also periodischen, Gittern anordnen. Daher konnte man alle Kristallstrukturen durch die mathematische Betrachtung von Parkettierungen des Raumes beschreiben.
Doch wir beginnen erstmal zweidimensional: Schon vor langer Zeit wurde bewiesen, dass es genau 17 Symmetriegruppen gibt, mit denen man die Ebene parkettieren kann. Alle Kombinationen aus Translationen, Rotationen und Spiegelungen lassen sich also auf diese 17 Arten der ebenen Symmetrie zurückführen.
Die Symmetriegruppen enthalten insbesondere nur Drehungen um bestimmte Winkel, nämlich um 60°, 90°, 120° oder 180°. Die Ordnung einer Rotationssymmetrie gibt an, wie oft man diese Rotation hintereinander ausführen muss, um das Anfangsmuster wieder zu erhalten. Alle Kristallstrukturen hatten also Ordnung 6, 4, 3 oder 2 (denn 6 x 60° = 4 x 90° = 3 x 120° = 2 x 180° = 360°).
So wie man die Parkettierungen der Ebene untersuchen und auf 17 Symmetriegruppen zurückführen kann, sind alle periodischen Parkettierungen des Raumes ebenfalls durch endlich viele Symmetriegruppen bestimmt. Es gibt genau 230 mögliche Symmetriegruppen.
Die gleichen Muster, die zur periodischen Parkettierung des Raumes genutzt werden, kommen auch in den Kristallen vor. Bisher ist man davon ausgegangen, dass auch nur genau diese Symmetrien vorkommen.
Shechtman hat aber gezeigt, dass es auch anders geht – und Kristalle mit Rotationssymmetrien der Ordnung 5 und 10 entdeckt: die Quasikristalle.
Auch wenn er sich lange gegen große Widerstände durchsetzen musste – ganz undenkbar war diese Entdeckung nicht. Denn obwohl man in der Mathematik alle 17 periodischen Symmetriegruppen kannte, die die Ebene parkettieren, so wusste man dank Roger Penrose auch, dass es aperiodische Parkettierungen der Ebene gibt. Die Symmetiegruppe dieser Parkettierungen ist nicht in den 17 Symmetriegruppen enthalten, da diese nur periodische, also sich wiederholende Muster, beschreibt. Die Penrose-Parkettierungen aber sind gerade nicht-periodisch.
Shechtman entdeckte 1982 dann eine nicht-periodische, dreidimensionale Kristallstruktur der Ordnung 5. Diese ist nicht in den 230 bekannten Gruppen enthalten – Solche Strukturen nennt man heute Quasikristalle.
Und genau wie diese Penrose-Parkettierungen eine Revolution in der Mathematik war, sind die Quasikristalle eine unglaubliche Entdeckung für die Chemie.
Zum Weiterlesen:
- Unser Blog zu Parkettierungen der Ebene und semiregulären Parkettierungen der Ebene
- Ein Film zur Penrose-Parkettierung, der komplett online verfügbar ist (englisch)
- Ein sehr guter Artikel zum Chemie-Nobelpreis 2011 und der Mathematik dahinter von Thilo Kuessner auf scienceblogs.de
- Die Meldung zur Vergabe des Nobelpreises auf wissenschaft.de
- Schlagworte
-
Chemie
Roger Penrose - Ähnliche Inhalte
-
Film: The Penrose Tesselation
Blog-Artikel: Parkettierungen der Ebene
Zometool: Eiskristalle und Sterne